WOCHENENDTIPP

Die Fliege (1986) – David Cronenberg über das Grauen der körperlichen Veränderung

von Patrick Pietsch

 

 

 

 

 

 

 

Der exzentrische Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum) arbeitet fanatisch an einem Teleportationsgerät, das Dinge, sowie Organismen von einem Ort zum andern versetzen soll. Er lernt die Journalistin Veronica (Geena Davis) kennen, verliebt sich in sie und führt ihr die Maschine erfolgreich vor, indem er ihre Stumpfhose teleportiert. Brundles Traum ist es, dies auch mit Lebewesen zu können, doch das misslingt ihm bei zahlreichen Versuchen.

Als das Experiment letztendlich mit einem Pavian funktioniert, ohne das dieser Schäden davongetragen hat, steigt er selbst in das Gerät und teleportiert sich. Dabei fliegt eine Stubenfliege in die Teleportationskammer und bewirkt, dass sich die DNA von Brundle und der Fliege fusioniert. Unter Veronicas (die von ihm schwanger ist) entsetzter Beobachtung, reformiert sich Brundles Körper Stück für Stück zu einem widerwärtigen Wesen.

David Cronenberg (Videodome, Scanners, Naked Lunch) stellt in „Die Fliege“ einen abscheulich, ekelhaften Verwandlungsprozess dar und offenbart dem Zuschauer das Gefühl, sich in seinem eigenem Körper fremd zu sein. Die Transformation die Brundle erlebt, spiegelt sich nicht nur auf dessen äußeren Zerfall, sondern repräsentiert charakteristische Eigenarten, die zuvor seinem Darstellungsbild des sozial isoliert lebenden Strebers widersprochen hätten. Das Werk schweift nie vom Handlungsstrang ab und steigert kontinuierlich die Spannungsdramaturgie der Metamorphose. Jeff Goldblum hatte unter Cronenberg seinen ersten großen Leinwanderfolg. Goldblum ist spürbar noch nicht in der Hochphase seines schauspielerischen Könnens, überzeugt hier jedoch, durch die realistisch wirkende Veränderung seiner geistigen Erscheinung.

Chris Walas wurde 1986 für seine verblüffenden maskenbildnerischen Fähigkeiten mit dem Oscar ausgezeichnet. Seine Leistung, die bis heute in keiner Weise an Wirkung verloren hat, verhalf Cronenberg dazu, nicht nur zu faszinieren, sondern auch durch antimenschliche Szenerien zu schocken. 

„Ich hoffe die Realität meines Publikums zu verändern“ – David Cronenberg

Samstag, 30.10., Kabel 1, 02:30 Uhr

Die Fliege, USA 1986

VOM LÜGEN, VERGESSEN UND ERINNERN

Florian Cossens Debütfilm „Das Lied in mir

von Christoph Meyer

 

 

 

 

 

 

 

 

Heinz Badewitz eröffnete die 44. Hofer Filmtage mit der Feststellung, dass sich viele junge Regisseure mit menschlichen Gefühlen beschäftigen, um nicht zu sagen mit dem ganzen Lauf des Lebens, den Höhen und vor allem den Tiefen. So beschäftigt sich auch Florian Cossen in „Das Lied in mir“  nur in der Rahmenhandlung mit der argentinischen Militärdiktatur, denn hauptsächlich umkreist er die Gefühle seiner Protagonisten in allen ihren Facetten.

Marie (Jessica Schwarz) erfährt in Buenos Aires, dass sie von ihren Eltern Anton (Michael Gwisdek) und Liliane Falkenmeier adoptiert wurde, als ihre Eltern während der argentinischen Militärdiktatur verschleppt wurde. Sie hatte vorher am Flughafen, ein spanisches Kinderlied wiedererkannt. Der Konflikt zwischen ihr und Anton scheint zu eskalieren, als sie die Familie ihrer entführten Eltern aufsucht und erfährt, dass Anton und die, zu ihrem sechzehnten Lebensjahr verstorbene Liliane, sie illegal aus dem Land schafften, sie sozusagen der richtigen Familie entrissen. Während Anton die Vergangenheit ruhenlassen und nach Deutschland zurückkehren will, sucht Maria nach ihrer eigenen Identität.

Cossen zeigt die Ohnmacht seiner Protagonisten in eindringlichen Bildern. Maria, die nicht in der Lage ist, sich an die argentinische Familie und Herkunft zu erinnern und Anton, der nicht dazu bemächtigt ist, bereits Geschehenes zu ändern. Zwischen Wiedersehensfreude und innerer Zerissenheit befindet sich Maria im Konflikt zwischen Sein und Nichtsein, bleibt selbst am Ende, als Anton nach Deutschland abreist, in Buenos Aires, um nach sich selbst zu suchen,  nach einer Identität, die nicht aus Lügen aufgebaut ist.

Wie ist Vergangenheitsbewältigung möglich, wenn die eigene Vergangenheit fremd ist? Diese Frage stellt Debütant Cossen dem Zuschauer. Nicht die Militärdiktatur ist sein Thema, sondern deren Opfer. Er umkreist deren Gefühle und zeigt somit die Unmöglichkeit, eine zerbrochene Vergangenheit zusammenzusetzen. Die Diktatur scheint verblasst, deren Folgen zeigen sich nur noch im Kleinen, und so wird Florian Cossens Film auch politisch, denn er plädiert gegen das Vergessen, ein Thema, das auch Deutschland betrifft – immer noch.

Trotz einiger Schwächen im Drehbuch und etwas zuviel Sentimentalität, überzeugt „Das Lied in mir“ auf ganzer Linie. Ein Debütfilm, der es verdient hat, die 44. Internationalen Filmtage Hof zu eröffnen und ein Film, der es wert ist, gesehen zu werden.