DIE VIELEN LEBEN DES BOB DYLAN

Todd Haynes „I’m not there

von Christoph Meyer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frei nach Arthur Rimbauds Ausspruch „Ich ist ein Anderer“ inszeniert Todd Haynes ein Biopic über Bob Dylan. Aber kann man das überhaupt noch eine Biographie nennen? Nein, Haynes zerlegt vielmehr Bob Dylan in seine verschiedenen Persönlichkeiten, liefert sozusagen seine persönliche Dylan Interpretation ab, die trotz ihrer Experimentierfreude erstaunlich nahe an den echten Dylan heranreicht.

Anders als in gewöhnlichen Biopics wie z.B. „Walk the Line“, erzählt „I’m not there“ keine lineare Karrieregeschichte, sondern vermischt die verschiedenen Persönlichkeiten und Einflüsse solange, bis sich der Zuschauer aus all den Eindrücken einen eigenen Bob Dylan schaffen kann.

Der schwarze Junge Marcus Carl Franklin spielt den 11-jährigen Woody, also den frühen Dylan, der noch eine Woody Guthrie Kopie sein wollte und sein Idol sogar am Sterbebett besuchte. Ben Whishaw mimt Arthur Rimbaud, der das Geschehen, bzw. auch sich selbst kommentiert, sozusagen den jungen wilden Dichter in Dylan repräsentiert. Die größte Überraschung des Films allerdings ist Cate Blanchetts Rolle als Jude Quinn, dem 66’er Dylan,  der dem Zusammenbruch nahe und kurz vor seinem verhängnisvollen Motorradunfall ist, und trotz ihrer offensichtlichen Weiblichkeit kommt sie einer echten Verkörperung Dylans noch am nächsten. Bob Dylan zur Zeit von z.B. „The FreewheelinBob Dylan“ oder „The Times are A-Changing“ wird von Christian Bale durch Jack dargestellt, der später auch die Metamorphose zu Pastor John durchmacht, also zu Dylan bei „Slow Train Coming“. Jacks Geschichte wird immer wieder durchbrochen von Interviews mit Alice Fabian (Julian Moore), die Joan Baez repräsentiert und durch deren Part der Film Elemente der Mockumentary (= eine fiktive Dokumentation) erhält. Auch Heath Ledger ist hier in einer seiner letzten Rollen zu sehen, nämlich in der des Robbie, der Dylan in seiner Scheidungsphase verkörpert („Blood on the Tracks“). Richard Gere spielt Billy (the Kid), Dylan als Outlaw, der durch die Kulissen von Sam Peckinpahs „Pat Garrett und Billy the Kid“ wandelt.

Dies alles vermengt Todd Haynes zu seiner höchst persönlichen Dylan Interpretation, die den Künstler zerstückelt, um ihn wie ein Puzzle neu zusammenzusetzen, ihn zu umkreisen, sich ihm zu nähern und sich doch gleichzeitig immer weiter von ihm zu entfernen. Keine Demystifizierung soll es sein, sondern noch weitere Teile zum Mythos Dylan hinzufügen. Dies alles geschieht mit solch einer Liebe zum Detail, die nur von einem Bewunderer stammen kann, man erkennt verschiedene Legenden über Dylan wieder, Zitate, Versatzstücke auch aus seinem Prosaband „Tarantula“. Eine exzellente Songauswahl (basierend auf dem neu entdeckten Track „I’m not there“) und prominente Gastauftritte (Kris Kristofferson als Erzähler, Richie Havens, Jim James von My Morning Jacket, etc.) kommen noch hinzu.

I’m not there“ ist ein Film, der Dylan Fans begeistern wird, weil er Dylan  nicht als Person, sondern als Phänomen begreift. Letztendlich ist er aber einfache ein wunderbarer Film, der einen unfassbaren Sog auf den Zuschauer ausübt und ihn mit Experimenten, die man vom amerikanischen Kino nicht gewohnt ist, in seinen Bann zieht.

HOFER FILMTAGE – MITTWOCH

Ein Tag bei den 44. Internationalen Filmtagen Hof

von Christoph Meyer

I.

 

 

 

 

 

 

 

Drei Jahre hat es gedauert, bis er es endlich nach Hof geschafft hat: Bob Rafelson. Der Regisseur, dem die diesjährige Retrospektive gewidmet ist, ist einer der bedeutensten Vertreter des New Hollywood. Zusammen mit z.B. Peter Bogdanovich oder Dennis Hopper, revolutionierte er das amerikanische Kino, bzw. die Art, wie Filme in Amerika gemacht werden. Gemeinsam mit seinem engen Freund Jack Nicholson, der in fast allen seinen Filmen der Hauptdarsteller ist und sie teilweise sogar ko-produziert hat, schuf er eine beachtenswerte Filmografie. Nachdem seine Musikkomödie „Head“ mit den Monkees (!), die Werkschau eröffnete, folgt nun sein zweiter Film „Five Easy Pieces“ von 1970.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

FIVE EASY PIECES (dt. Ein Mann sucht sich selbst)

Robert, ein ehemaliger Konzertpianist aus gutbürgerlichem Haus, hat seine Heimat verlassen um sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Als er erfährt, dass sein Vater schwer krank ist, fühlt er sich nach mehr als drei Jahren gezwungen, zurückzukehren.

Es ist ein Film im Stile des New Hollywood, er handelt von der ewig währenden Suche, vom nicht verwirklichten amerikanischen Traum, der demystifiziert wird. Von der ewigen Freiheit, die innerer Zwang zu sein scheint und als Geißelnehmer des persönlichen Willens agiert. Die Suche nach der eigenen Freiheit, nach dem Platz im weiten Amerika, nach der eigenen Identität, passiert unabhängig der Vergangenheit und wird zur nie enden wollenden Suche. Robert ist sozusagen ein Getriebener, der am Ende sogar seine schwangere Frau verlässt, um weiter nach sich selbst zu suchen.

Ein revolutionärer Film, der zusammen mit Boganovichs „Last Picture Show“ und Dennis Hoppers/Peter Fondas „Easy Rider„, das System Hollywood komplett umkrempelte und der zu unrecht aus dem allgemeinen Filmkanon hierzulande verschwunden ist. „Five Easy Pieces“ ist ein Meisterwerk, das Jack Nicholson durch seine superbe Schauspielleistung, endlich als ernstzunehmenden Schauspieler etablierte und Bob Rafelson zu einem der wichtigsten Vertreter neuer, junger Regisseure in Amerika machte.

II.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ATME (Magoscha Siwinska, Nicki Durand)

Der zweite Film des heutigen Tages ist „Atme„, der Debütfilm von M. Siwinska und N. Durand, dem man leider den Debütfilmcharakter sehr anmerkt. Die zurückliegende Geschichte der Beziehung zwischen Johanna und Nick, die zerbricht, als ihre gemeinsame Tochter stirbt, wird immer wieder unterbrochen durch eine Handlung in Finnland, wo Johanna von Karl, wieder ins Leben zurückgeführt wird, sie sozusagen resozialisiert wird.

Die Idee, das Gleichnis in Finnland in Parallelmontagen zur Vergangenheit zu erzählen, ist zwar interessant, aber zu rätselhaft umgesetzt, als dass sie ihre Wirkung entfalten könnte. Auch das Drehbuch zeigt Schwächen, wirkt zu konstruiert, um die Beziehung authentisch wirken zu lassen.

Leider ist „Atme“ ein Film, der von einer guten Idee leben muss, die schlecht umgesetzt wurde. Auch einige sehr schöne Szenen schaffen es nicht, die Mittelmäßigkeit dieses Films auszubügeln.

III.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

CARLOS (Olivier Assayas)

Carlos“ erzählt 20 Jahre aus dem Leben der berühmt-berüchtigten Terroristen Ilich Ramirez Sánchez, der unter anderem für die Geißelnahme der OPEC- Vertreter in Wien verantwortlich war.

Olivier Assayas Mini-Serie, wurde in Hof erstmals in der um rund zwei Stunden gekürzten Kinofassung vorgestellt. Ich kann mich nur dem Festivalleiter Heinz Badewitz anschließen und sagen, dass „Carlos“ der beste Film ist, der jemals über Terrorismus gedreht wurde. Ein Meisterwerk, dass den internationalen Terrorismus seziert, ihn als das entlarvt, was er ist: korrupt, geldgierig und menschenverachtend. Carlos wird nicht als politischer Idealist gezeigt, sondern als selbstverliebter Revolverheld, dessen politische Ziele durchwegs undurchsichtig sind.

Der logistische Aufwand, den man an der wahnsinnigen Länge des Abspanns sieht, hat sich gelohnt, für diese gesamteuropäische Produktion, die nicht nur durch Genauigkeit und Spannung besticht, sondern auch durch außergewöhnliche Optik und enorme Leistungen der Schauspieler.