DIE VIELEN LEBEN DES BOB DYLAN
24/11/2010 Hinterlasse einen Kommentar
Todd Haynes „I’m not there“
von Christoph Meyer
Frei nach Arthur Rimbauds Ausspruch „Ich ist ein Anderer“ inszeniert Todd Haynes ein Biopic über Bob Dylan. Aber kann man das überhaupt noch eine Biographie nennen? Nein, Haynes zerlegt vielmehr Bob Dylan in seine verschiedenen Persönlichkeiten, liefert sozusagen seine persönliche Dylan Interpretation ab, die trotz ihrer Experimentierfreude erstaunlich nahe an den echten Dylan heranreicht.
Anders als in gewöhnlichen Biopics wie z.B. „Walk the Line“, erzählt „I’m not there“ keine lineare Karrieregeschichte, sondern vermischt die verschiedenen Persönlichkeiten und Einflüsse solange, bis sich der Zuschauer aus all den Eindrücken einen eigenen Bob Dylan schaffen kann.
Der schwarze Junge Marcus Carl Franklin spielt den 11-jährigen Woody, also den frühen Dylan, der noch eine Woody Guthrie Kopie sein wollte und sein Idol sogar am Sterbebett besuchte. Ben Whishaw mimt Arthur Rimbaud, der das Geschehen, bzw. auch sich selbst kommentiert, sozusagen den jungen wilden Dichter in Dylan repräsentiert. Die größte Überraschung des Films allerdings ist Cate Blanchetts Rolle als Jude Quinn, dem 66’er Dylan, der dem Zusammenbruch nahe und kurz vor seinem verhängnisvollen Motorradunfall ist, und trotz ihrer offensichtlichen Weiblichkeit kommt sie einer echten Verkörperung Dylans noch am nächsten. Bob Dylan zur Zeit von z.B. „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ oder „The Times are A-Changing“ wird von Christian Bale durch Jack dargestellt, der später auch die Metamorphose zu Pastor John durchmacht, also zu Dylan bei „Slow Train Coming“. Jacks Geschichte wird immer wieder durchbrochen von Interviews mit Alice Fabian (Julian Moore), die Joan Baez repräsentiert und durch deren Part der Film Elemente der Mockumentary (= eine fiktive Dokumentation) erhält. Auch Heath Ledger ist hier in einer seiner letzten Rollen zu sehen, nämlich in der des Robbie, der Dylan in seiner Scheidungsphase verkörpert („Blood on the Tracks“). Richard Gere spielt Billy (the Kid), Dylan als Outlaw, der durch die Kulissen von Sam Peckinpahs „Pat Garrett und Billy the Kid“ wandelt.
Dies alles vermengt Todd Haynes zu seiner höchst persönlichen Dylan Interpretation, die den Künstler zerstückelt, um ihn wie ein Puzzle neu zusammenzusetzen, ihn zu umkreisen, sich ihm zu nähern und sich doch gleichzeitig immer weiter von ihm zu entfernen. Keine Demystifizierung soll es sein, sondern noch weitere Teile zum Mythos Dylan hinzufügen. Dies alles geschieht mit solch einer Liebe zum Detail, die nur von einem Bewunderer stammen kann, man erkennt verschiedene Legenden über Dylan wieder, Zitate, Versatzstücke auch aus seinem Prosaband „Tarantula“. Eine exzellente Songauswahl (basierend auf dem neu entdeckten Track „I’m not there“) und prominente Gastauftritte (Kris Kristofferson als Erzähler, Richie Havens, Jim James von My Morning Jacket, etc.) kommen noch hinzu.
„I’m not there“ ist ein Film, der Dylan Fans begeistern wird, weil er Dylan nicht als Person, sondern als Phänomen begreift. Letztendlich ist er aber einfache ein wunderbarer Film, der einen unfassbaren Sog auf den Zuschauer ausübt und ihn mit Experimenten, die man vom amerikanischen Kino nicht gewohnt ist, in seinen Bann zieht.